Text: PLATTENBAUTEN, MILIONENPROJEKT, SOZIALWOHNUNGEN, SATELITENSTÄDTE, HOCHHÄUSER___ nach dem 2. weltkrieg, geometrisch einfache, schachtelartige gebäude mit rechtwinkliger grundstruktur, meisst rohen betonfassaden, kieselbeton, aber auch backstein, ökonomische gesichtspunkten folgend als wohnhäuser konzipiert, einfache konstruktive bauweise...
die welt ist eine andere von jedem standpunkt aus. die dinge definieren sich nicht selbst. die blende, das objektiv, die perspektive und die belichtungszeit, die auflösung. sieht ein fliegenpilz wie ein roter punkt aus von oben, gross, klein, anziehend, giftig, wie ein rausch, von unten ganz weiss mit einem feinen lamellendach, zerbrechlich für uns, schnellwachsend nicht für eine eintagsfliege, ausdruck für ein gesundes ökosysthem. welcher zeitrahmen umspannt die plattenbauten, welches gesellschaftssysthem, welches naturverhältnis, welche persönlichen werte, welche materialassotiationen, welche denkweisen? der suprematismus, die russische avantgard mit religiösem oder gar überreligiösem anspruch auf klarheit und schwerelosigkeit, einfache kuben schweben vor weissen hintergründen, die idee einer neustrukurierung...
vor seiner suprematistischen phase hat kasimir malevich bauern gemalt. wärend des suprematismus heisst ein rotes quadrat 'bäuerein auf dem acker' und nach dem suprematismus malt er weiterhin bauern, wieder 'realistischer'. aber sie scheinen einer anderen grundstruktur zu folgen. es hat sich etwas wesentliches geändert und doch ist das wesentliche gleichgeblieben. hintergrund für die plattenbauten ist in meinen augen die russische avantgarde. die lockeren, frei gegliederten, rechteckigen formen, die sich in gruppen auf malevich bildern arangieren, unterscheiden sich nicht sehr von den luftaufnahmen der plattenbausiedlungen. der religiöse oder überreligiöse hintergrund, vor dem sie zu schweben scheinen, spiegelt die angestrebte, schwerelose freiheit der sozialistischen länder wieder. die gleichheit der formen und ihr doch schönes, klares zusammenspiel ist ein faszinierendes konzept.
seit jener bildern (ca. 1913) bis zur fertigstellung der bauten (ca. 1975) sind zwei weltkriege, mehrere diktatoren und ein börsensturz vorbeigezogen. in dieser zeit, also noch während der avantgarde, gab es keinen raum entsprechend zu bauen. die vorstellung, dass alle menschen gleich seien und das der arzt und der bauarbeiter nachbarn sind könnrn und in den gleichen wohnungen wohnen, dass sich die baustruktur von den vorhergehenden, eitlen und klassenspezifischen bauformen unterscheiden und mit ihnen brechen sollte, ist leicht nachzuvollziehen. als gegenentwurf eine klare, unverhüllte formsprache mit einfachen und bescheidenen mitteln.
dem gegenüber steht jetzt die wertschätzung der individualität (zumindest vermeintlich), die scheinbare rückbesinnung auf eher dörfliche strukturen und das privat paradies als endglück. "teile und herrsche" ist ein grundprinzip kapitalistischen wirtschaftens. werbewirksam umformuliert zu "selbstverwirklichung durch individualismus". wie kann die heutige sprache, die heutige denkweise und wie die heutigen empfindungen die gestrige ästhetik verstehen? verstehen und empfinden den unglaublichen grund und willen diese gebäude zu errichten? und woher kommt heute die unglaubliche scham, die jetzt die selben gebäude abreissen will, oder sie verstecken sucht hinter farbigen schutzplatten? wie ist aus der überreligiösen ikonografie des suprematismus die grafische grundlage für logos der telekom, lidel, commerz- und deutsche bank geworden? und wie das standart layout für billige werbebanner und broschüren?